Inhaltsverzeichnis |
Wir sollten um 7 Uhr morgens abgeholt werden. Klar, daß wir die frühe Uhrzeit für die Gorillas gerne in Kauf nahmen! Hätten wir vorher gewußt, daß wir bis 8.45 Uhr auf die Abfahrt zu warten hatten, hätten wir aber gerne länger geschlafen.
Glücklicherweise empfangen die Gorillas nicht nur in den frühen Morgenstunden Besuch. Nach einer Stunde Fahrt lernten wir in der Basisstation des Parks unseren Guide kennen, der uns zu unserem Mut gratulierte, den Park zu besuchen. Meine positive Spannung, die Gorillas zu sehen, mischte sich mit einem leicht mulmigen Gefühl, das sich angesichts unserer mit Maschinengewehren bewaffneten Begleitung noch verstärkte.
Nach einer kurzen Fahrt zu unserem Startpunkt erhielten wir einen Kurzvortrag über die Gewohnheiten der Gorillas und über die Verhaltensregeln, nach denen wir uns richten mussten. Dabei ging es weniger um unsere Sicherheit, als um die der Gorillas, die durch unser Eindringen in ihr Leben gefährdet werden kann. Dann ging es endlich zu Fuß weiter. Bereits nach einigen Metern im Wald wichen die Bedenken über die eigene Sicherheit und die der Gorillas der Faszination, die von der Umgebung ausgeht. Der Weg führte bergauf und bergab, durch höhlenartiges Dickicht, lichte Stellen im Wald und durch Sümpfe. Da gab es Baumriesen mit Brettwurzeln zu bestaunen, flechtenbedecktes Geäst und mehrere Quadratmeter große Spinnennetze. Trotz der Wanderstöcke, mit denen uns der Guide ausgestattet hatte, und trotz des freigeschlagenen Pfades war das Vorankommen nicht leicht.
Abgesehen von „Fotopausen“ mussten wir immer wieder anhalten, um Teile unserer Kleidung (z.B. Schnürsenkel) aus dem Griff des Dornengebüschs zu befreien. Nach ca. 2 Stunden war es dann so weit. Wir trafen auf eine weitere Gruppe Parkranger, die den Aufenthaltsort der Gorillas für uns ausgekundschaftet hatten. Sie versorgten uns mit einem Mundschutz, den wir zum Schutz der Gorillas vor unseren Viren und Bakterien anlegten.
Nach wenigen Metern erspähten wir dann den ersten Affen im Dickicht. Kurz darauf erkannten wir in der Nähe eine ganze Gruppe, die uns vorher nicht aufgefallen war. Bis auf wenige Meter konnten wir uns den Tieren unter Anleitung des Guides nähern. Um das Fotografieren im dichten Gehölz zu ermöglichen, schlugen die Ranger die Sicht zu der Gruppe mit Macheten frei. Immer wieder beruhigte unser Guide die Tiere durch Klatschen und einem tiefen, kehligen Brummen. Von der Familie, die über 40 Mitglieder hat, saß eine Gruppe von 7-10 Individuen vor uns, die unsere Anwesenheit nur mäßig interessant fanden. Nur ein junger Gorilla kam neugierig etwas näher. Die andere aßen oder dösten nach der anfänglichen Unruhe weiter. Der Chef der Gruppe, der den Namen „Mushamuka“ trägt, ignorierte uns völlig und ließ sich bei seinem „Mittagsschlaf“, den er etwas abseits der Gruppe verbrachte, nicht stören.
Nach ca. einer halben Stunde verzog sich die Gruppe der Weibchen ins Dickicht. Kurz darauf wurde Mushamuka aktiv. Er suchte nach Zweigen, von denen er genüßlich die Blätter verzehrte. Schon allein die Körpermasse des Silberrückens – aber auch die Ruhe, die er ausstrahlte, war faszinierend. Nach weiteren 30 Minuten war unsere Besuchszeit beendet, denn die Gorillas sollen nicht länger als eine Stunde pro Tag gestört werden.
Die Zeit war wie im Flug vergangen – aber die Eindrücke aus der Welt der Gorillas und die Bilder von den verschiedenen Persönlichkeiten bleiben uns im Gedächtnis.
Henriette über den Besuch bei den Gorillas vom Kahuzie-Biega-Nationalpark im Kongo.
Nach dem Frühstück nehmen wir Abschied von den Franziskanern in Burhinyi, für die unser Besuch offensichtlich eine unterhaltsame Abwechslung war. Alle stellen sich noch für ein Abschiedsphoto auf und schon sind wir wieder auf der Straße durch Walungu.
Hier geht die Fahrt zügig voran, die Straße ist verhältnismässig gut ausgebaut. Unser Ziel ist Kamisimbi, kurz vor Bukavu. Von dort hat man bei gutem Wetter einen Blick weit hinunter auf die Provinzhauptstadt und weiter hinten auf den großen Kivusee. Heute allerdings ist alles eher bewölkt und diesig. Hier sind in den letzten Jahren eine Reihe von Aufforstungsmaßnahmen durchgeführt worden. Schwerpunkt war „Agroforstwirtschaft“ – also, die Bauern haben auf ihre Felder in grösseren Abständen Bäume gepflanzt, als "Schattenbäume" und vor allem, damit die Blätter den Boden düngen und um den dort sehr verbreiteten Eukalyptusbaum zurückzudrängen, der zu viel Wasser verbraucht. Zuerst besichtigen wir aber einen Hügel, wo einige Hektar mit heranwachsendem Wald bepflanzt wurde. Wir sehen, die Baumschulgärtner waren fleißig, aber die Natur nicht so begeistert. Immer wieder waren Pflänzchen eingegangen, man hat nachgepflanzt und dann weidete in einiger Entfernung unser Hauptproblem, eine Herde von Kühen mit ihrem Cowboy. Diese Kühe sind offensichtlich in unserer Aufforstung gewesen und haben hier und da auch die Blätter der kleinen Pflänzchen gekostet. Sie sind nicht eingegangen, aber kommen jetzt ein paar Zentimeter hoch nur als Busch heraus. Wir fragen, wieso die Viehzüchter nicht einbezogen wurden, damit die Cowboys die Aufforstung respektieren?
Möglicherweise wurde die bessere Weide für die Bäume genommen? Weiter oben; wo alles steiler ist, wäre vielleicht der bessere Platz für Aufforstung gewesen? Wir haben mit der Projektleitung ein ernstes Wörtchen zu reden…
So schauen wir uns noch mehrere Flächen an, auch Terrassenbau an den steilen Hängen wurde versucht – im benachbarten Ruanda gibt’s ganz viel Terrassen-Landwirtschaft auf den Hügeln, im Kongo leider noch nicht.
Zwischendurch muß ich mit Chris, unserem Fahrer, eine Weile im Auto auf die anderen warten. Da kommen drei Jungs heran, vielleicht 11, 16 und 17 Jahre alt und bestaunen erstmal, wie üblich, den Muzungu. Wir kommen dann mit ihnen ins Gespräch. Sie arbeiten in einer kleinen Ziegelei in der Nähe, auch der Kleine, dessen Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können. Was machen sie denn mit dem Verdienst? Sie strahlen. Der kleine sagt, er könne sich jetzt jeden Monat eine Ziege kaufen. Drei habe er schon. Der andere sagt stolz, er besitze schon vier Ziegen.
Etwas später beginnt der große Regen. Wir sind mitten im Feld und unsere beiden Autos haben Mühe weiterzukommen. Im Nu verwandeln sich die Feldwege in Schlammpisten und habe die gleiche Wirkung wie Glatteis bei Euch in Deutschland. Die Autos rutschen unkontrollierbar, wenn der Fahrer nicht aufpasst… Wir sind am anderen Ende von Kamisimbi und die Hauptstraße von Uvira/Nyangesi ist nicht weit. So entscheiden wir uns, über diese Hauptstraße zurückzufahren.
Das hätten wir aber besser nicht gemacht.
Auch diese Hauptstraße ist durch den Regen inzwischen völlig aufgeweicht. Unser Jeep mit Vierradantrieb hat damit zwar keine besonders großen Probleme, dafür aber umso mehr viele andere Autos. Im Stadtteil „Essence“ von Bukavu geht dann gar nichts mehr. Wir haben 17 Uhr und stehen in einem Stau. Auch die Gegenrichtung ist blockiert. Dafür sind auf beiden Seiten der schlammigen Straße Hunderte, nein Tausende von Menschen zu Fuß auf dem Heimweg. Und das geht jetzt so weiter mit unserem Auto, hin und wieder mal ein paar Meter Weiterfahren, dann wieder Stillstand. Kurz nach 18 Uhr bricht die Dunkelheit an und auch der Regen setzt wieder ein. Im Gegensatz zu den vielen Fußgängern, die heimwärts streben, oft mit erheblichen Lasten auf den Köpfen balancierend sitzen wir im Trockenen. Diese Leute müssen das Gleichgewicht halten, um nicht noch im Schlamm auszurutschen.
Unser Wagen kommt nur ganz langsam voran. Für den nächsten Kilometer brauchen wir dann nochmal zwei Stunden. ¼ nach 8 Uhr geht’s schließlich wieder zügig voran in die Innenstadt. Solch einen gewaltigen Stau habe ich selbst letztes Jahr in Nigeria nicht gesehen, wo ich schon „Megastaus“ erlebte. Die Straße durch Essence ist ein Nadelöhr. Die Chinesen wollen sie mit einer Teerdecke versehen, aber begonnen wurde damit noch nicht.
Zurück im Quartier bin ich jetzt zwar todmüde, muß aber erstmal unter die Dusche. Dann haben mich ganz schnell die Träume erobert und ich schlafe, bis morgens die Soldaten von ihrem Hauptquartier nebenan kurz nach 6 wieder ihr Quasseln anfangen und die Glocken der nahen Kathedrale läuten.
Heute Morgen haben wir endlich mal etwas Zeit, um mit Pater Michel zu sprechen. In Bukavu ist er bekannt als „der Mann mit den Bäumen“ (Jean Giono hat unter diesem Titel in Frankreich ein sehr schönes Büchlein geschrieben.) Pater Michel hat sich zur Aufgabe gemacht, mit seinen Studenten – er gibt Kurse an einer der hiesigen Universitäten – die Stadt wieder zu begrünen. Stolz zeigt er uns die offizielle Genehmigung des Bürgermeisters. Dann seine kleine Baumschule im Garten und dann, was er schon im näheren Umkreis gepflanzt hat. Später sehen wir auf der Hauptstraße, der Ave. Lumumba, weitere kleine Bäumchen – jeweils abgesichert durch mehrere dicke, weiß angepinselte Steine, damit die Autos da nicht parken können. Das werde auch respektiert. Bukavu, so sagt er, sei früher ganz grün gewesen. Heute ist davon nicht mehr so viel übrig. Vieles ist als Brennholz verfeuert worden.
Am Nachmittag treffen wir zuerst Daniel aus dem Tschad mit einer deutschen Kollegin, die für eine größere Entwicklungsorganisation hier Nichtregierungsorganisationen koordinieren. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus und berichten von unseren Projekten. Danach sind wir beim Vizegouverneur der Provinz eingeladen, den ich seit einigen Jahren kenne und der sich immer etwas Zeit nimmt für ein Gespräch. Letztes mal hörte er mit Staunen, daß einer unserer Projektpartner angefangen habe die Ziegen zu melken. „Wie, hier im Kivu???“ Die Leute halten sich zwar viele Ziegen, aber nur, damit diese später im Kochtopf landen. Dabei wäre Ziegenmilch und –käse sehr nützlich. Der Vizegouverneur sagte seinerzeit, er besitze viele Ziegen und sei sehr an Ziegenkäse interessiert. Er war viele Jahre in Deutschland und kennt dies also. Inzwischen hat er sich mit unserem Projektpartner beraten und will demnächst mit der Produktion von Ziegenkäse beginnen lassen.
Unser Hauptthema ist aber die Forstwirtschaft. Der Vizegouverneur berichtet kummervoll, was wir schon wussten: Weit im Westen der Provinz, wo noch recht viel Wald ist, werde dieser mehr und mehr flächendeckend mit den deutschen „Stiehl-Sägen“ abgeholzt, einiges werde als Bauholz, anderes zur Holzkohleproduktion für Bukavu verwendet. Mit einer Säge könne ein einziger Arbeiter am Tag mehr als einen Hektar kahlschlagen. Die Regierung habe wenig Möglichkeiten derzeit, um dies zu verhindern. Wir sprechen über Forstmanagement und die Notwendigkeit einer forstwirtschaftlichen Ausbildung an einer der hiesigen Universitäten und bitten den Vizegouverneur bei seinen künftigen Beratungen sowas im Auge zu behalten.
Auf dem Rückweg diskutieren Henriette und ich, wie am besten die Aufforstungsarbeit hier fortgesetzt werden könnte und kommen zum Schluss, daß wir möglichst viel Know How der Baumschulgärtner erhalten müssen und „Forstmanagement“ müsse gelehrt werden…
Morgens bin ich mit Antonios bei der Gruppe Wote Pamoja eingeladen, was soviel wie „Wir alle zusammen“ bedeutet. Mit dieser Gruppe arbeiten Freunde in Deutschland schon seit genau 18 Jahren, seit dem Massaker in Ruanda, 1994. Diese Gruppe hatte sich seinerzeit um Flüchtlinge aus Ruanda gekümmert und viele integriert. Heute sind sie Partner bei unserem Mikrokreditprogramm und zeigen uns stolz ihre Bilanzen. Ich kann sagen, daß ich mit den Leistungen zufrieden bin. Sie können inzwischen aus den Einnahmen vier Mitarbeiter finanzieren und haben auch einen Kreditbestand von fast 30.000 Dollar. Für den Kongo ist das sehr viel. Davon profitieren dann Hunderte von Frauen, welche „rotierende Kredite“ bekommen, vorzugsweise für den Kleinhandel. Schon im vorigen Jahr hatten wir den Eindruck, diese Frauen sind mit dem Programm sehr zufrieden und diesmal verstärkt sich dieser Eindruck noch. So nebenbei erzählen sie von der Idee mit Holz- und Papierresten „Pellets“ herzustellen, also kleine Briketts, die als Alternative zur Holzkohle verwendet werden können und genauso gut brennen. Man könne hier inzwischen für wenig Geld solche kleinen mechanischen Geräte kaufen, mit denen man Pellets herstellen könne. Wir finden das eine gute Idee und bestärken sie darin. Da diese Frauen den kleinen, mobilen Lorena-Ofen noch nicht kennen, vereinbart Antonios mit ihnen gleich, daß er demnächst nochmal vorbeikommt, um mit den Frauen ein Bauseminar durchzuführen.
Im späteren Verlauf des Tages gibt’s weitere Projektberatungen und am Abend kommt dann noch hoher Besuch vorbei: Wir hatten bei der Konferenz letzte Woche Rene Ngongo kennengelernt, ein weltweit geachteter Schützer des kongolesischen Regenwaldes, der auch Träger des Alternativen Nobelpreises ist. Wir hatten ein Treffen vereinbart und heute Abend wars dann soweit. Wir verstehen uns auf Anhieb gut, berichten von unseren Regenwaldprojekten und laden ihn zu einer lockeren Zusammenarbeit ein, was er gerne annimmt, zumal er demnächst auch zweimal nach Deutschland kommt. Er selbst ist dabei, ein großes Projekt in Kisangani, im Norden des Landes zu organisieren. Bisher habe er für eine große, weltweit tätige Umweltschutzorganisation gearbeitet, doch diese habe ihn sozusagen vermarkten und seine Reisetätigkeit vorschreiben oder kontrollieren wollen. Deshalb habe er sich jetzt davon getrennt. Aber auch noch aus einem anderen Grund. Er sehe das Hauptproblem bei der Zerstörung des hiesigen Regenwaldes nicht im Abholzen durch internationale Firmen (im Gegensatz zu dieser Organisation), sondern im Buschfeuer und in den Aktivitäten der Einheimischen und deshalb wolle er lieber Basisprojekte zum Erhalt des Waldes fördern. Jedenfalls verabreden wir eine weitere Zusammenarbeit und sind dankbar über ein sehr anregendes Gespräch. Henriette war ganz erstaunt, daß einer ihrer Begleiter beim Besuch der Gorillas Rene Ngongo war, den sie bis dahin noch nicht kannte. Zwischen 8 und 9 Uhr verabschieden wir Rene. Die Straße ist jetzt menschenleer. Rene kam mit dem Auto und kann damit einigermaßen sicher zu seinem Quartier fahren.
An diesem Donnerstag bekomme ich einige Sachen schneller erledigt als geplant. So habe ich etwas Zeit für einen kleinen Spaziergang und gehe zur nahen Kathedrale – und staune.
Rundrum stehen schon teilweise Meter hohe Bäume, die ganz klar von Pater Michel und seinen Studenten gepflanzt wurden, zu erkennen an den weiß gestrichenen Steinen rundrum gegen das Autoparken, das sonntags sicherlich auch um die Kathedrale herum ein Problem ist. Diese Bäume sehen sehr schön aus mit ihren ausladenden Ästen, unter denen junge Leute im Schatten sitzen und lesen. Etwas weiter sind eigentlich die Maertyrergraeber. In den Kriegsjahren und davor sind gleich vier Bischöfe Bukavus ermordet worden oder jedenfalls nicht eines natürlichen Todes gestorben. Darunter einer bei der Eroberung Bukavus durch die Ruander 1996. Aber wo sind die Gräber heute? Dort, wo ich sie zu finden dachte, eine Plane wie auf den Baustellen. Später höre ich; für sie werde dort ein Mausoleum gebaut. Nun ja, das ist vermutlich angemessen, aber die schlichten Gräber von einst waren eigentlich auch beeindruckend.
Ich setze mich unter einen der Bäume auf einen Stein – und beginne SMS zu beantworten. Ihr werdet kaum glauben, aber in Deutschland habe ich vorher fast nie SMS geschrieben, ich wusste als Technikmuffel überhaupt nicht wie das richtig funktioniert. Aber hier wird fast alles, vor allem die Termine, per SMS geregelt und das ist billig und eine große Hilfe. Jeden Tag gehen Dutzende SMS hin und her – und dann sind die Verabredungen getroffen, ob mit dem Vizegouverneur oder mit Chris, unserem Fahrer. Das System funktioniert sogar besser als das Sprachnetz, das immer wieder Ausfälle hat: „keine Verbindung“.
Was ich alles in Afrika noch lerne.
Noch was Unglaubliches in diesem Zusammenhang. Inzwischen werdet Ihr Euch nicht wundern, daß ich solch ein altmodischer Mensch bin, der eigentlich meinte, einen Computer nicht nötig zu haben. Und ich hätte auch noch keinen Computer, wenn da nicht diese Afrikaner gewesen wären, die dann an gemeinsame Freunde Emails für mich sandten, die diese mir dann per Post innerhalb Deutschlands zuschicken mussten (oder per Postkutsche). Eines Tages kamen afrikanische Mitglieder von Dialog International, die LHL-Partnerorganisation, an und sagten, das gehe so nicht mehr weiter und stellten mir einen Computer hin. Ja, und dann war’s passiert. Immerhin bin ich froh, hier im Kongo feststellen zu können, daß ich noch nicht computersüchtig bin, wenn ich höchstens einmal am Tag kurz oder gar einmal in der Woche auf den Bildschirm schauen kann. Aber damit wollte ich eigentlich nur sagen, daß auch in der Entwicklungshilfe ¾ der Arbeit am Bildschirm erledigt werden muss...
Aber noch sitze ich unter dem Baum bei der Kathedrale und mein „Büro“ im Mobiltelephon arbeitet. Vorige Woche haben wir uns über Chris lustig gemacht, dessen „Büro“ immer pünktlich nach dem Abendessen zu arbeiten begann. Dazu hat dies auch noch einen klagenden, nein, weinerlichen Klingelton. Wir haben uns dann jedesmal fast gekringelt vor Lachen, wenn dies losging.
Ich laufe rüber zur Kathedrale. Da steht eine Mutter mit ihrem vielleicht dreijährigen Sohn, der mich ungehemmt anstaunt. In der großen, schlichten Kathedrale übt der Chor neue Lieder und auch die Mutter kommt rein und setzt ihren Filius genau neben mich und er staunt weiter über den Muzungu. Wir lächeln uns zu und er verkriecht sich im Gewand von Mama. Dann sage ich „Au revoir“, weil ich zum Mittagstisch muss.
Nachmittags holen mich Flavien und Antonios ab. Wir fahren mit einem Taxi an den Stadtrand durch Essence und Panzi zum Neubau „unserer“ Schule „Tunza la Mayatima“. Das nagelneue Gebäude steht in einem Tal, umgeben von Bananenhainen. Trotz Finanzierunghilfe durch das deutsche Entwicklungsministerium hat das Geld leider nicht ausgereicht. Fussboden und Fenster sind noch nicht installiert und auch die große Latrine ist erst zur Hälfte fertig. Aber viele Kongolesen leben in solchen Provisorien und warum nicht unsere Schule? Diese schon seit Oktober letzten Jahres. Trotzdem sind alle hochzufrieden, weil auch dieses Provisorium sehr viel komfortabler ist als die alte Baracken- und Zeltschule. Da außerdem die Einkünfte der Ziegelei in Nyangezi der Schule zugute kommen sollen, machen wir uns auch nicht allzu viele Sorgen deswegen. Und die allerschönsten Bodenplatten werden jetzt da in Nyangezi hergestellt. So wird sich das Warten lohnen.
Auf uns warten ungefähr 50 Eltern bzw. Pflegeeltern der Kinder, die teilweise Waisenkinder sind, außerdem zahlreiche ehemalige Kindersoldaten, welche durch die Schule noch eine Ausbildung bekamen, nämlich als Schreiner. Das war auf dem alten Gelände. Sie identifizieren sich mit der Schule und haben oft beim Bau freiwillig mitgeholfen.
Hier muss ich jetzt eine Rede halten und erinnere an die schwierigen Umstände früherer Jahre, die ich alle gesehen hatte. Die Schule begann mit über 100 Kindern auf höchstens 40 qm. Ich danke allen, die freiwillig mitgeholfen haben, die Steine schleppten, Ausschachtungsarbeiten erledigten usw. Das ist die lokale Eigenbeteiligung, die 15 % zu den Kosten beigetragen hatte. Jetzt, sage ich, ist das Eure Schule und sobald wie möglich wollen wir hier auch Kurse und Seminare für ältere Schüler und abends, sobald elektrisches Licht da ist, auch für Erwachsene anbieten. Dann verteile ich noch Exemplare des Kalenders von Dialog International für 2012, der Photos vom Schulneubau enthält. Glücklicherweise habe ich genügend Drucke dabei. Jetzt haben alle einen deutschen Kalender und können sogar sehen, wann die deutschen Kinder Schulferien haben.
Tipp: Übrigens kann sich jeder diesen Kalender auf der Internetseite www.dialog-international.org runterladen. Im Kongo geht das natürlich nicht so einfach.
Später sitzen wir mit den Lehrern zusammen. Sie erklären mir wie ihr Schulprogramm im wesentlichen auf den staatlichen Lehrplänen basiert. Aber, sind wir hier nicht eine Privatschule, frage ich? Welche Spezialitäten könnte denn Tunza la Mayatima anbieten? Wenn sie, die Lehrer, genauso arbeiteten wie tausend andere öffentliche Schulen im Kongo auch, dann müssten wir das doch eigentlich nicht aus Deutschland finanzieren…? Habe ich die Kollegen sprachlos gemacht? Was meint der Muzungu bloß? Der Direktor hat verstanden, denn wir beide diskutierten diese Fragen schon im vorigen Jahr, aber wegen des Umzugs konnte er bisher nur wenig davon einbringen. So hatte man eigentlich noch nicht darüber nachgedacht. Deshalb betraf die erste Frage den Wunsch vieler, vieler Kongolesen: Computer würden benötigt, denn, so das Argument, im staatlichen Lehrplan stehe schon, die Kinder sollten eine Computerausbildung bekommen. Aha! Rundrum Bananenplantagen, abends Kerzenlicht, das Gebäude hat noch keine richtigen Fenster und jetzt Computerausbildung! Habe das wirklich Vorrang bei den Schülern? Wie viele Schüler könnten sich denn überhaupt die höhere Schule leisten? Und welche Berufe fänden die anderen? Wären sie da auf Computer angewiesen?
Natürlich nicht. Ich frage, ob denn nicht die Kollegen, jeder für sich, spezielles Wissen habe, das vielleicht an Schülergruppen weitergegeben werden könne – und das nicht im Lehrplan stehe? Jetzt war der Groschen gefallen. Klar, habe man das und ein Vorschlag kam nach dem anderen, von Kursen in gesunder Ernährung und Kochen über Gartenbau, Bau von Lorenaöfen usw. Ich bat die Lehrer, in den nächsten Wochen mal ein solches Konzept zu entwickeln und dann wollten wir weitersehen…
Wir fahren mit dem Taxi zurück in die Innenstadt und gehen das letzte Stück zu Fuß und finden schon wieder kleine frisch gepflanzte Bäume der Leute von Pater Michel. Aber dann sehen wir daneben noch was anderes, nämlich wieder diesen einheimischen Baum, hier eher noch ein Strauch, den wir schon in Luhwinja wuchern sahen. Aber diesmal völlig übersät mit Samen, fast so, als wollten sie halb Bukavu mit Samen versorgen. Also sowas, mitten in der Innenstadt! Wie leicht ließe sich daraus etwas gegen die Erosion, die hier allüberall ist, im Vorgarten heranziehen. Henriette hatte gestern am Stadtrand eine Baumschule einer sehr aktiven Gruppen von christlichen Familien besichtigt und dort all die tropischen Bäume, die irgendwann mal aus Australien, Südamerika und werweisswoher nach Afrika eingeführt worden waren, besichtigt. Die Leute lieben diese Exoten und als sie auch am Wegesrand den vorgenannten Baum wuchern sah und darauf hinwies, daß dieser hier sehr nützlich sei, hätten alle nur gelacht: Dieser wachse hier doch überall. Ja, genau deshalb, so Henriette, sei dieser doch so nützlich. Ja, das Gute ist oft ganz nah und wie sagt man, vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht. Da gibt’s übrigens noch so einen Baum, der hier nur als Heckenstrauch beliebt ist, um Gärten und Felder abzugrenzen. Überall sieht man diese hier einheimische Pflanze – aber eben nicht als Baum. Dabei, so Henriette, wachse dieser eigentlich zu einem stattlichen Baum heran, der auch nützliches Feuerholz abgebe.
So ist das in der Welt. Als Fremder sieht man schon mal Dinge, die für die Einheimischen so selbstverständlich sind, daß sie diese übersehen.
Von früh bis spät hatte ich heute Treffen und Sitzungen. Früh um 8 hatte ich mich mit Pater C. verabredet, der mir Briefe nach Deutschland mitgegeben hat.
Hier hängen keine Briefkästen rum, wo man sowas frankiert reinwerfen kann und den Rest erledigt die Post. Das ginge allerdings im benachbarten Ruanda, wo solche Dienste besser funktionieren, ist aber etwas umständlich hinzukommen.
Anschliessend waren nochmal die Leiter der drei Ziegeleien zusammengekommen für einige Absprachen. Sie werden künftig eng zusammenarbeiten und sich austauschen. Danach fuhren Henriette und ich ins Büro von Innocent, den einige von Euch kennen und der im vorigen Jahr in Deutschland war (sein Bericht dazu findet sich auf www.entwicklungspolitische-baustelle.l-h-l.org unter Schulen NRW).
Wir hatten ein Abschlussgespräch zu den verschiedenen Aufforstungen und begannen Pläne für künftige Projekte zu schmieden. Mittags gingen wir zu seinem Lieblingsrestaurant, mit Selbstbedienung und köstlicher kongolesischer Küche mit grosser Auswahl. Der Mittagstisch, egal wieviel auf dem Teller war, kostete 5 Dollar. Dort trafen wir auch Bosco, der dann mit uns zum Büro der Partnerorganisation fuhr, wo wir mit den Agronomen und Projektleitern der Aufforstungen das Abschlussgespräch hatten und auch einiges kritisch unter die Lupe nehmen mussten.
Eigentlich hatten wir für heute die Rückfahrt nach Uvira geplant, aber Bisuzu hatte noch eine Begegnung für mich in Katana vermittelt. So brach ich frühmorgens mit ihm und Antonios in einem Taxi auf nach Katana, am Kivusee entlang, Richtung Norden. Dort hats mit einem Projekt einige Probleme, deren Hintergrund mangelnde Koordinationsbereitschaft von anderen Partnern in Deutschland war. Darunter litt das ganze Projekt. Heute konnten wir endlich alles in Ruhe besprechen mit etwa 15 Männern und Frauen. Und hier habe ich zum wiederholten Masse erlebt, welche Meister manche Afrikaner in der Regelung von Konflikten sind. Bisuzu und Antonios arbeiteten sich vor, um alles zu verstehen, übersetzten meine Ausführungen in kisuaheli und dann liess man mich alleine sitzen und alle Leute gingen raus, auf die Wiese unter einen Baum und jetzt wurde palavert. Mindestens eine Stunde lang. Dann hatte man die Lösung, die jetzt den verschiedenen Partnern vorgeschlagen werden soll.
Ich hatte Zeit in dieses Tagebuch zu schreiben und eine Hochzeit anzuschauen, die draussen auf der Strasse mit viel Tam-tam und Gesang vorüberzog. Heute, am Samstag, ist vielerorts Hochzeitstag. Später auf der Rückfahrt begegnete uns noch ein Hochzeitszug, d. h. die Gäste ziehen mit dem Brautpaar von Standesamt bzw. Kirche zum Ort der Festlichkeiten und das mit viel Lärm, Gesang und Tanz.
Wir waren ja mit dem Taxi gefahren und schon früh hatte ein kräftiger Regen begonnen. Wir waren alle sehr nass geworden, doch am Ziel war alles wieder trocken, dafür begann dort ein Gewitter mit einem noch heftigeren Regen, durch den wir aber durchmussten, da half gar nichts.
Angekommen hatte ich völlig verschlammte Schuhe und auch der untere Teil der Hose war verdreckt. Dann schaute ich mir die Halbschuhe von Antonios und Bisuzu an und ihre Hosen: Pikopello. Kein Schmutz, blitzblank sauber. Waren sie nicht denselben Weg gelaufen? Auch den Frauen fiel dies auf und mir blieb nichts anderes als zu sagen, daß die Muzungus halt schmutziger seien als die Afrikaner und diese sich vielleicht auch geschickter auf den schlammigen Wegen über Stock und Stein fortanzubewegen. Alle lachten.
Auch die Rückfahrt ging in einem Taxi. Diese sind generell Sammeltaxis. In Deutschland wären sie für 4 Personen plus Fahrer zugelassen. Unsere Taxifahrer hier im Kongo fahren aber erst los, wenn 6 Fahrgaeste in ihrem Gefährt sitzen. So lange mussten wir warten und dann sitzen vorne immer drei, also neben dem Fahrer noch zwei - mit Anschnallen ist da nichts, und hinten sitzen vier Personen. Das geht, selbst wenn sich da, wie auf der Rückfahrt, noch eine füllige Mama dazwischenzwängt. Man ist bei dieser Nähe sozusagen ganz schnell mit den anderen Fahrgästen per Du und dann wird erzählt und der Muzungu wird ausgefragt. Das sind immer ganz unterhaltsame Fahrten.
Zurück in Bukavu hatten wir noch ein interessantes Treffen mit einem Priester und seiner Mitarbeiterin, die aus Shabunda kamen, also ganz weit im Südwesten der Provinz, wo noch ganz viel Regenwald ist. Wir verabredeten eine Zusammenarbeit zu prüfen. Das ist die Gegend, wo der Vizegouverneur auch gerne eine Ziegelpresse aufgestellt hatte, aber wir fanden keine Partnerorganisation.
Abends hatte uns Dr. Peter eingeladen, ein langjähriger Freund hier, der leider behindert ist, weil er als Junge mal von einem Avocadobaum gefallen ist und seither Krücken benötigt. Aber er ist sehr intelligent, hat studiert und leitet jetzt eine Baufirma, die alle möglichen Baumaßnahmen für Hilfsorganisationen sehr zuverlässig durchführt. Er meinte uns ins teuerste Restaurant führen zu müssen, um unser Primus zu trinken. Dort residierten dann fast ausschließlich Muzungus, die das Geld hatten, hier alles zu bezahlen. Trotzdem hatten wir nahe des Seeufers unter Palmen einen schönen Abend, nur erschrak ich, als ich Dr. Peters Rechnung sah. Das Primus hätten wir auch günstiger bekommen können. Die anderen Europaer scheinen hier ihre Spesen zu verbraten.
Wir fuhren mit seinem Auto wieder zurück durch das nächtliche Bukavu, das ziemlich menschenleer war. Damit ist auch schon unser Aufenthalt hier beendet. Morgen gehts wieder zurück nach Uvira und in wenigen Tagen verlassen wir den Kongo. So weiss ich noch nicht, wann die nächste Gelegenheit fürs Internet ist.
Gestern hatten Innocent und Henriette für den Bus nach Uvira heute um 10 Uhr sieben Sitze buchen müssen: Drei für Henriette, Antonios und mich und vier Sitze für unser Gepäck.
Für jeden unserer Rucksäcke einen Sitz und dann hatte Antonios noch eine große Kiste mit einem Fernsehapparat irgendwo erstanden. (Worüber sich die Familie später freute wie an Weihnachten) Ja, und die musste dann auch noch mit. So hatten wir für sieben Sitze zu zahlen. Die einfache Fahrkarte kostet 7 Dollar für die vielleicht 150 km durch Ruanda und die Ebene nördlich des Tanganjikasees. 7 Sitze bedeuteten also 49 Dollar. Ein Taxi wäre erheblich teurer gewesen.
Zum Abschied waren wieder alle Freunde zum Bus gekommen.
Jetzt stellt Euch bloß keinen Omnibus vor, wie Ihr das aus Deutschland kennt. Busse im Kongo stammen von Toyota und haben die Grösse eines VW-Busses. Offiziell dürfen 18 Personen plus Fahrer da mitfahren, d.h. vorne, neben dem Fahrer zwei und dann vier Reihen mit jeweils vier Personen. Die letzte Reihe hatten wir diesmal also für unser Gepäck reserviert – und die anderen waren ganz froh, ihres dann bequem darauf legen zu können (was sie sonst auch noch auf ihrem Schoß hätten halten müssen. Also, Ihr könnt Euch schon denken, man sitzt jetzt für die nächsten 3 Stunden in dem Bus wie Heringe in der Dose gepresst sind. Von „Beinfreiheit“ keine Spur. Also, ständig Füsse bewegen, damit sie nicht „einschlafen“! Und ich habe bisher im Kongo auch noch keinen solchen Kleinbus gesehen, der nicht vollbesetzt war. Während wir uns von unseren Freunden verabschieden beginnt der große Regen. Als wir im Bus sitzen, regnet\\\'s in Strömen – wenige Kilometer weiter müssen wir am Grenzübergang Ruzizi I zu Ruanda wieder raus, uns den Stempel der kongolesischen Grenzbeamten holen, die dafür wieder mal die Namen meines Vaters und meiner Mutter eifrig registrieren und dann geht’s rüber zu den Ruandern, die neuerdings Englisch als Amtssprache haben und Mitglied im Commonwealth geworden sind und deswegen auf Englisch grüßen. Auch hier muß ein Formular ausgefüllt werden, als Deutscher braucht man glücklicherweise kein Visum. Der Regen wird immer stärker, aber wir fahren im trockenen Bus über die gut ausgebaute Straße und eine halbe Stunde später sind wir wieder am Grenzübergang zurück zum Kongo und alles nochmal. Papa und Mama, dann Stempel holen. Fertig. Wir hätten auch alternativ auf der kongolesischen Seite des Ruzizitales fahren können, hätten aber über die dortige sehr schlechte Straße mindestens 4 Stunden mehr gebraucht. So fahren wir jetzt weiter durch den Regen Richtung Tanganjikasee über eine der wenigen geteerten Straßen des Kongos nach Uvira. Nebenan die Hütten und vielleicht darf ich verraten, daß dort fast überall die kleineren Kinder draußen – splitternackt spielten. Wieso sollten sie bei dem warmen Regen auch bekleidet sein? Beim Baden ist man das ja auch nicht wirklich und jede Kleidung wäre innerhalb weniger Minuten völlig durchnäßt gewesen. Ich vermute, den Kindern hat dieses Spielen mehr Spaß gemacht als in der Hütte auf das Ende des Regens zu warten. Ganz anders die – Ziegen. Ihr wisst sicherlich nicht, daß die Ziegen ganz und gar wasserscheu sind. Das war einfach nur lustig anzusehen wie überall, aber wirklich überall, die Ziegen auch unter dem schmalsten Dachvorsprung sich an die Mauern schmiegten und Schutz vor dem Regen suchten und zwar erst die Ziegenmama und direkt dahinter, eng an die Hauswand gedrückt, auch der Ziegennachwuchs – tatsächlich überall.
Kurz vor Uvira kamen wir durch den Stadtteil Kasenga. Die Mitglieder unseres Partnervereins Dialog International kennen diesen Ort, weil dort vor einigen Jahren mal ein großes Hochwasser war, bei dem mehrere Menschen zu Tode kamen. Wir hatten seinerzeit deswegen vom deutschen Außenministerium zunächst Mittel für Nothilfe bekommen und später wurde vom Entwicklungsministerium ein Projekt zur Drainage für die Abwasser dieses Stadtteils bewilligt. Wie ganz Uvira liegt der Ort am Rande hoher Berge, die, wie ich auch diesmal hörte, vor wenigen Jahrzehnten alle bewaldet waren. Inzwischen sind fast sämtliche Bäume verfeuert und Ihr könnt Euch leicht denken, was jetzt passiert, wenn ein großer Regen kommt. Während meiner verschiedenen Besuche in den letzten Jahren habe ich mir jedesmal den Zustand dieser Drainage angeschaut und angemahnt, sie müsse auch mehrmals im Jahr gewartet (und nicht zugemüllt) werden, damit bei einem künftigen Hochwasser auch alles gut in den Tanganjikasee abfliesst. Heute also sah ich Kasenga mal wieder überschwemmt. Unglaubliche Wassermengen flossen da mit Riesengeschwindigkeit runter und auf der anderen Straßenseite weiter. Ich hatte nicht viel Zeit zu schauen, der Bus fuhr schnell vorüber, aber was ich sah war, daß offenbar die Drainage einigermaßen funktionierte. Ohne sie wäre wieder eine sehr große Katastrophe in Kasenga eingetreten.
Kurz nach Kasenga kamen wir bei unserem Hotel an und müssen das Gepäck noch ein paar Meter durch den Regen schleppen und dann ist alles überstanden. Später liess der Regen nach und sogar einige Sonnenstrahlen liessen sich wieder blicken. Doch wir waren dafür zu müde. Nach dem Essen und nach Einbruch der Dunkelheit wollten wir nur noch Schlafen. Das allerdings war mal wieder nicht einfach. Das Hotel steht im Geschäfts- und sagen wir mal Vergnügungsviertel. Und in den Bars und Tanzlokalen gibt’s keine doppelten Fensterscheiben und Lärmschutzwände. So ist also die halbe Nacht mal wieder Kongo-Rumba angesagt, aber glücklicherweise gibt’s „Ohropax“ und so ist mir das diesmal ziemlich egal.
Wir hatten Frühstück für 06.15 Uhr bestellt und pünktlich werden uns Brot, heißes Wasser, Nescafé, Teebeutel (aus Ruanda) und ein gebackenes Ei serviert.
Wir sitzen bei Sonnenaufgang auf der Hotelterrasse und überblicken den nördlichen Zipfel des Tanganjikasees.
Kurz später stehen wir vor dem Hotel und engagieren zwei „Motos“, die hiesigen Taxis, also Mopeds, gefahren von jungen Leuten, die pro Fahrt 300 Franc Congolais kassieren (ein Drittel Dollar) und einen dafür zielsicher und recht schnell um die vielen Schlaglöcher der Straße zum anderen Ende der Stadt kutschieren. Henriette muß heute noch einen Kurs in der Bedienung des GPS-Gerätes geben, während ich mir eine weitere Aufforstungsfläche in einem sehr erosionsgefährdeten Gebiet anschauen möchte. Wir, d.h. Xenia, die Frau von Antonios und zwei Baumschulgärtner laufen dorthin, ich muß über einige Felsen klettern und sehe, daß zahlreiche einheimische Bäume hier ganz gut angegangen sind. Nur - auf beiden Seiten der vielleicht an dieser Stelle 10 Meter breiten Fläche hat sich jeweils ein sehr tiefes Bachbett eingegraben, das beim gestrigen Regen noch mehr Erosion verursachte. Hier muß, so wird mir erläutert, dringend Bambus gepflanzt werden. Das sei schon fest geplant. Bambus ist der beste Schutz gegen Erosion.
Der Vormittag ist wieder sehr heiß und dann wird mir schwarz vor den Augen. Ach, wieder mal der Kreislauf! Und jetzt habe ich nichts zu trinken dabei. Wie ärgerlich! Ich muß mich hinsetzen, die anderen machen sich Sorgen, laufen runter und holen in einem Kanister Wasser. Mir ist ganz peinlich, daß ich ablehnen muß, dies zu trinken. Europäer sind dies nicht gewohnt und können sich alle möglichen Magenprobleme damit einhandeln. Deshalb ist nur abgefülltes Trinkwasser zu empfehlen. Und jetzt hat da jemand gleich den ganzen Kanister angeschleppt! Xenia kommt plötzlich mit einem riesigen Sonnenschirm an, während die anderen mir vorher frische Luft zufächelten. Welche Fürsorge! Nach etwa 10 Minuten ist der Spuk bei mir vorbei, aber wir treten den Rückweg an. Ich trage den Sonnenschirm und das muß wohl sehr komisch ausgesehen haben. Abgeliefert wurde dieser dann wieder bei seiner Besitzerin, einer Verkäuferin von Holzkohle und weiteren Dingen des täglichen Bedarfs, etwas weiter unten im Viertel. Die Leute rundrum lachen über diesen kursiosen Muzungu mit dem Sonnenschirm. Und etwas später war dann endlich auch das abgefüllte Wasser zu kaufen.
Am Nachmittag waren wir etwas weiter draußen mit den Baumschulgärtnern und dem Chief de Groupement einer weiteren Aufforstung zusammen. Das Projekt neigt sich dem Ende zu und alle machen sich natürlich Sorgen, wie das weitergehen soll. Dazu waren wir nicht allzu zufrieden mit dem Projekt, z.B. war einmal eine aufgeforstete Fläche durch Brandstiftung abgebrannt, eine Feuerbrigade für die Trockenzeit hatte man nicht aufgestellt, was wir vorher gefordert hatten. Andererseits war schwierig gewesen die lokalen Bevölkerung wirklich zu engagieren. Das kannten wir auch von anderen Projekten, aber mit Geduld gelang das meistens. Auch heute berichteten die Mitarbeiter, daß inzwischen immer mehr Bauern verstünden, worum es gehe und inzwischen selbständig Bäume pflanzten. Endlich! Aber das Projekt ist bald vorbei. Wir diskutieren, ob die Baumschulen nicht kommerzialisiert werden könnten? Sie wüßten doch jetzt, wie man Bäumchen produziere, auch Obstbäume und in ganz Uvira könne man – außer Eukalyptus – nirgends sowas kaufen. In der Tat, hier könnte für die Baumschulgärtner eine berufliche Perspektive entstehen, wenn sie sich etwas Mühe gäben, also besser als die Arbeitslosigkeit - und ein Arbeitsamt gibt’s hier nicht. Nur die Verwandtschaft, die einen bei Arbeitslosigkeit über Wasser halten muß. Außerdem, sage ich, wüßten sie doch jetzt alle, wie der holzsparende Lorena-Ofen gebaut werde - und in vielen Dörfern des Kivu wisse man das noch nicht und müsse mühsam Unmengen an Holz suchen. Könnten sie nicht umherziehen und ihr Wissen weitergeben? Von Uganda hören wir, daß die Ofenbauer des Lorenaherdes alle ausschließlich auf eigene Rechnung arbeiten und entweder mit Geld oder mit Früchten des Feldes bezahlt werden, die sie dann in der Stadt gut verkaufen können. Könne das nicht auch im Kivu funktionieren? Jedenfalls können wir kein neues Projekt versprechen, haben aber ein großes Interesse daran, daß die Baumschulgärtner irgendwie in ihrem Metier bleiben und nicht jetzt etwa umschulen müssen. So wäre natürlich schon ganz gut, wir könnten in Zukunft für den Erhalt der Baumschulen eine Unterstützung geben. Auf jeden Fall wollen wir, so erkläre ich dann, uns bemühen, die Baumschulgärtner auch künftig weiter fortzubilden und mit ihren Kollegen in anderen Orten der Provinz zum Erfahrungsaustausch zusammenbringen.
In der Tat, wir haben jetzt jahrelang schon in die Ausbildung der Baumschulgärtner investiert und wollen nicht, daß dieses Wissen verlorengeht. Die Frage, wie die Projekte hier im Kivu weitergehen, beschäftigt uns noch später auf der Hotelterrasse. Wir diskutieren über Entwicklungshilfe und darüber, wieso die Chinesen eigentlich mit ihren kommerziellen Projekten „auf gleicher Augenhöhe“ mit „win-win“ für beide Seiten hier bisher so gut gefahren sind, während die Europäer und Amerikaner mit Entwicklungshilfe oft „weiße Elefanten“ in die Gegend setzen. (Projekte, die nicht funktionieren, obwohl sie viel Geld kosten.) Eine Antwort ist vielleicht, daß „Gutes auch etwas kosten muß“. Wer etwas geschenkt bekommt, fühlt sich möglicherweise nicht so verantwortlich wie jemand, der mühsam einen Beitrag zur Bezahlung geben mußte. Die Chinesen arbeiten eher auf dieser Basis. Andererseits, so stelle ich selbst fest, ist die Armut hier so groß, daß oft nur noch auf gemeinnütziger Basis geholfen werden kann. Wahrscheinlich ist ¾ aller wirtschaftlichen Aktivität in Bukavu die Schattenwirtschaft, unterhalb der offiziellen Ebene, also ganz winzige Produktion, ganz winziger Handel mit Hilfe von Kleinstgenossenschaften und gemeinnützigen Vereinen. Diese Ebene muß sicherlich noch lange gefördert werden.
Wir sahen heute zufällig ein neues Projekt, der Anfang von Massenhaltung von Hühnern zur Eierproduktion, auch gefördert durch Entwicklungshilfe. Nun ist hier sicherlich kein Eiermangel, denn die Leute halten sich alle selbst Hühner. Und wenn jetzt auf einmal so viele Eier auf den Markt kommen – werden dann nicht die Preise sinken und die vielen kleinen Eierproduzenten dann noch weniger Einkommen haben? Ist nicht sowas durch die großen Supermärkte vor wenigen Jahrzehnten auch in Deutschland passiert, wo ein „Tante-Emma-Laden“ nach dem anderen dicht machen musste?
Im Kongo wird die moderne Zeit in den nächsten Jahren noch sehr viel Veränderung bringen. Aber auch Kommunalwahlen wären dringend nötig, damit die lokalen Behörden endlich den Wählern gegenüber verantwortlich sind und nicht irgendwelchen unbedeutenden Leuten in Behörden im fernen Kinshasa. Und dann werden vielleicht auch einmal die öffentlichen Dienste so organisiert, wie sie gebraucht werden, z.B. ein vernünftige Müllentsorgung, oder die Reparatur von Straßen oder die Drainage der Abwässer in Vororten oder, ja, wofür ist eigentlich der öffentliche Dienst alles zuständig? Genau das muß hier diskutiert werden! Jedenfalls ist mehr nötig, als einen Stempel auf ein Papier drücken und dafür möglicherweise noch Geld kassieren. Das, sagte mir neulich hier jemand, machten die kongolesischen Beamten am liebsten.
Heute steht der Besuch der Reisfelder von Kiliba auf dem Programm. Von der Bingo-Stiftung in Hannover hatten wir eine Unterstützung bekommen, um für die Reisbäuerinnen eine Schälmaschine anzuschaffen samt Gebäude für die Unterbringung und für ein Waschhaus.
Der Tag ist mal wieder glühend heiß, so heiß, dass Jean-Ferdinand, unser Partner in Uvira, der mit Asthma zu kämpfen hat, nicht mit uns im heißen Auto fährt, sondern sich lieber auf ein luftiges „Moto“ setzt und vorausfährt. Nach etwa 30 km Fahrt gen Norden sind wir am Ziel. Die Schälmaschine ist in einem einfachen, sehr hohen „Hangar“ untergebracht, der rundrum mit Stöcken und Lehm und obendrauf mit Wellblech gegen Regen und Sonne schützt und vor allem abends abschließbar ist, damit das „gute Stück“ auch sicher untergebracht ist. Drinnen rattert die Reisschälmaschine. Viele Säcke Reis warten darauf, gebrauchsfertig geschält zu werden, wozu zwei Durchgänge nötig sind. Der erste für die Schale, die nach draußen geblasen wird, der zweite für die Kleie, die als Viehfutter gilt. Für die Schale hat man noch keine Verwendung. Da wir ein paar Tage vorher bei der Gruppe „Wote Pamoja“ etwas über eine kleine „Pelletsmaschine“ gehört hatten, die in Bukavu zu kaufen sei, diskutierten wir mit den Leuten, ob das nicht vielleicht eine Verwendung wäre?
Solche Pellets wären eine nützliche Alternative zum Brennholz, vor allem aber zur Holzkohle... Im Hangar war allerdings noch ein Problem nicht zufriedenstellend gelöst: Die Abgase des Motors verteilten sich im Gebäude, weil das Ofenrohr defekt war und sie deshalb nicht nach draußen geleitet werden konnten. So waren die Arbeitsbedingungen fast unerträglich. Man wollte sich so schnell wie möglich um die Reparatur bemühen...
Anschließend liefen wir durch die glühende Hitze ein paar hundert Meter entlang der Reisfelder zum nagelneuen Waschhaus mit drei Duschräumen für Frauen und einem für Männer.
Aber was heißt Duschen, wo\\\'s keine Wasserleitungen gibt? Außer in den Innenstädten gibt’s im Kongo keine zentrale Wasserversorgung. Im allgemeinen muß das Wasser von zentralen Brunnen geholt werden oder aus dem Fluß oder einem Bach. Wir sehen somit sogenannte „Nasszellen“, aber für die Wasserversorgung muß jede Frau und jeder Mann selbst sorgen, nämlich per Schüssel oder Eimer aus dem wenige Meter entfernten Bewässerungskanal. Immerhin erfüllen die Räumlichkeiten den Zweck vor allem die Damen vor den neugierigen Blicken zu schützen, wenn sie sich bisher, nach getaner Arbeit in den schlammigen Reisfeldern, im Bewässerungskanal reinigen bzw. baden mußten. Doch jetzt gibt’s noch einen „Luxus“: Das Waschhaus hat auf beiden Seiten jeweils einen großen „Waschstein“ mit einer leichten Vertiefung, wo die Wäsche geschrubbt werden kann – so wie das vor Erfindung der Waschmaschinen auch in Europa üblich war. (Übrigens Ihr Niedersachsen: Im Museumsdorf Cloppenburg läßt sich in einer Ausstellung u.a. das Wäschewaschen früher und in der Neuzeit bis zur Waschmaschine nachverfolgen!)
Uns macht die Hitze zu schaffen. In Deutschland soll\\\'s noch ganz kalt sein, aber wir schwitzen hier bei vielleicht 35 oder 40 Grad im Schatten. Der heftige Regen vom Wochenende ist vorbei. Wir sind deswegen froh, wieder im Auto zu sitzen mit reichlich Frischluftzufuhr bei offenen Wagenfenstern. Zurück in Uvira verabschieden wir uns von Jean-Ferdinand und Antonios. Henriette und ich beschliessen, in der Bar „unseres“ Restaurants noch ein „Primus“ zu trinken. Wir bekommen direkt am Straßenrand hinter grünen Ranken einen Platz. Dies ist unser letzter Tag im Kongo. Morgen früh geht’s dann wieder nach Bujumbura in Burundi zum Flughafen. Die vier Wochen im Kongo sind in der Tat wie im Flug vergangen. Wir lassen einige unserer Erlebnisse Revue passieren und überlegen, welche Projekte in Zukunft vielleicht möglich sind – vorausgesetzt uns werden dazu Mittel bewilligt und vorausgesetzt einige Menschen sind bereit, uns dafür ihre Spenden zukommen zu lassen.
Reisetage sind in Afrika „Wartetage“. Zunächst warten wir eine gute Stunde auf unser Taxi, dann geht’s erstmal zur Grenze. Auf kongolesischer Seite müssen wir uns wieder an Papa und Mama erinnern, in Burundi sind 40 Dollar für das Transitvisum fällig. Überall jedoch, das muß wieder einmal klar gesagt werden, sind die Grenzbeamtinnen und -beamten (viele Frauen tun hier Dienst!) sehr freundlich. Im Flughafen ist an jeder Ecke eine weitere Kontrolle und dann beginnt wieder das Warten – diesmal aufs „Boarding“. Aber dann ist es soweit und kurz später sind wir schon „über den Wolken“, denn hier ist ja Regenzeit. Doch vorher gelang uns noch ein grandioser Ausblick auf den nördlichen Tanganjikasee bis der Flieger in den Wolken verschwand. Etwas später lag der riesige Victoriasee wolkenfrei unter uns, aber schon bald neue Wolken und die Zwischenlandung in Nairobi wurde zu einer recht wackeligen Angelegenheit. Ganz klar: Wolken mögen keine fliegenden Eindringlinge.
Am Abend in Addis trennten sich unsere Wege. Henriette wollte mit einem Nachtflug schon am frühen Morgen in Frankfurt sein. Ich bleibe noch ein paar Tage in Äthiopien und nachdem das Visum im Pass klebt und das Gepäck vom Band runtergeholt werden konnte, stehe ich draußen in der Halle – aber niemand wartet auf mich. Was ist mit J.? Wollte er mich nicht abholen? Hatte er dies nicht mehrmal per Email betont? Stattdessen werde ich von Hotelagenten und Taxifahrern bestürmt, die mir ihre teuren Dienste anpreisen. Nein, ich benötige sie nicht, ich würde noch abgeholt. Naja, hoffentlich...? Wo ist nur J.? Ich warte fast eine Stunde. Dann entschliesse ich mich, das Büro der Fluggesellschaft aufzusuchen und auf den nächstbesten Flug nach Deutschland umzubuchen und wohl oder übel in einem der teuren Hotels Quartier zu nehmen, die hier ihre Agenten auf Kundenfang aussenden. Als ich mich auf der Galerie befinde, wo noch Geschäfte offen sind, sehe ich mit einem Mal unten in der Halle J. Jetzt aber schnell runter. Ist er also doch gekommen! Ein Verkehrsstau, den\\\'s auch in Addis oft gibt, hatte ihn aufgehalten. Wir begrüßen uns herzlich. Er hat ein kleines, ganz einfaches, aber – wie ich später feststellte sehr sauberes und schönes Hotel für mich gebucht, ganz in der Nähe seiner Wohnung. Dort bekamen wir sogar noch ein äthiopisches Abendessen serviert und hatten uns viel zu erzählen...
Lese weiter im letzten Teil, Kongobriefe 2012, Teil 4
Geändert am 27.03.2012 11:37 von Jugendserver Niedersachsen