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Für die meisten 14 bis 17-Jährigen heute gilt: Man möchte sein wie alle. Die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen Jugend-Subkulturen gibt es kaum mehr. Eine Mehrheit ist sich einig, dass gerade in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss, weil nur er das „gute Leben“, das man in diesem Land hat, garantieren kann.
Das trifft auch für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu, v.a. die muslimischen, die sich demonstrativ von religiösem Fundamentalismus distanzieren. Die Akzeptanz von Vielfalt nimmt zu, v.a. religiöse Toleranz wird als wichtige soziale Norm hervorgehoben. Dem entsprechend ist die Mehrheit in allen Lebenswelten für die Aufnahme von Geflüchteten und Asylsuchenden. In Teilen der Jugend in Deutschland werden jedoch auch Ressentiments und ausgrenzende Haltungen gegenüber Menschen anderer nationaler Herkunft und sozialen Randgruppen geäußert.
Der Begriff „Mainstream“ ist bei den meisten Jugendlichen kein Schimpfwort, sondern - im Gegenteil – ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung. Viele wollen mehr noch als vor wenigen Jahren so sein „wie alle“. Ein mehrheitlich gemeinsamer Wertekanon vor allem aus sozialen Werten deutet auf eine gewachsene Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung in den zunehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt hin. Dem entsprechen auch ihre generelle Anpassungsbereitschaft und selbstverständliche Akzeptanz von Leistungsnormen und Sekundärtugenden. Dieser „Neo-Konventionalismus“ gilt gleichermaßen für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund, ausgenommen sind lediglich die postmodern geprägten Lebenswelten. Dennoch werden weiterhin auch jugendtypische Werte wie der Wunsch nach Selbstentfaltung sowie hedonistische und postmoderne Werte betont, je nach Lebenswelt in unterschiedlich starker Ausprägung.
Junge Menschen interessiert und beschäftigt das Thema Flucht und Asyl: Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten in Deutschland ist eine wichtige Erkenntnis, dass der überwiegende Teil der Befragten die Aufnahme von Geflüchteten befürwortet, Zuwanderung unterstützt, Toleranz zeigt und mehr Engagement für eine gelungene Integration fordert. Konzept und Narrative der „postmigrantischen Gesellschaft“ sind unter den 14- bis 17-Jährigen erkennbar, die Akzeptanz von Vielfalt nimmt zu. Teilweise bestehen dennoch nach wie vor manifeste Vorbehalte gegenüber anderen Nationen. Dabei handelt es sich zwar meistens um tradierte Stereotype, die von den Jugendlichen aber nicht immer als Klischees oder Vorurteile erkannt werden. Bei vielen Jugendlichen, insbesondere in den benachteiligten Lebenswelten, ist das positive Bild einer pluralen, vielfältigen Gesellschaft (noch) nicht fest als soziale Norm verankert.
Aus Perspektive der Jugendlichen ist der Höhepunkt der digitalen Durchdringung des eigenen Alltags erreicht. Die bislang als jugendtypisch eingeordnete, bedingungslose Faszination ist geschwunden. Jugendliche kennen die Risiken (z. B. Überwachung, unkontrollierte Datennutzung) und möchten digitale Medien nicht nur nutzen, sondern auch verstehen. Deshalb wünschen sie sich von der Schule weniger gefahrenzentrierten Unterricht und mehr Hilfestellungen, wie sie sich sicher und trotzdem frei im Netz bewegen können. Digitale Kompetenzen sind in den Lebenswelten immer noch unterschiedlich ausgeprägt. Doch gerade sie sind zunehmend relevant für soziale Teilhabe und berufliche Zukunft. Der „richtige“ Umgang mit digitalen Medien wird vor allem in den bildungsnahen Lebenswelten als anspruchsvolle Aufgabe gesehen, erstmals werden Wünsche nach Entschleunigung geäußert. Werte wichtiger als Religionen Jugendliche sind an Sinnfragen interessiert, aber skeptisch gegenüber Religionsgemeinschaften als Institutionen. Die eigene Glaubensgemeinschaft ist in den meisten Lebenswelten nicht besonders wichtig, wird aber auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Religiöse Heterogenität im Freundeskreis wird akzeptiert, wichtig ist jedoch, dass es eine gemeinsame Wertebasis gibt. Religiöse Begründungen von Gewalt lehnen Jugendliche aller Lebenswelten deutlich ab. Speziell bei den befragten muslimischen Jugendlichen zeigt sich eine Festigung von religiöser Toleranz als Norm und eine demonstrative Distanzierung vom radikalen Islamismus.
Umweltschutz und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen bewegen Jugendliche ebenso wie das Thema kritischer Konsum, letzteres vor allem im Hinblick auf die Vermeidung von Kinderarbeit. In ihrem Alltag ist die Handlungsrelevanz dieser Themen jedoch aus verschiedenen Gründen beschränkt: Preisargumente und das Gefühl, dass Einzelne nicht viel ändern können, sorgen dafür, dass Jugendliche ihr Kaufverhalten in der Praxis kaum anpassen. Der Klimawandel ist vor allem in den Lebenswelten mit niedriger Bildung kaum relevant, weil man Schwierigkeiten hat, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen.
Jugendliche entscheiden zweck-, kosten- und situationsabhängig, welches Verkehrsmittel gerade am besten passt. Mit dem öffentlichen Personennahverkehr zeigen sie sich im Großen und Ganzen zufrieden. Busse und Bahnen sind für sie nicht nur ein Beförderungsmittel, sondern auch ein Ort, um in sozialen Austausch zu treten, Freunde zu treffen oder neue Kontakte zu knüpfen und Zeit für sich zu haben. Um sich über ÖPNV-Angebote zu informieren, setzen die Jugendlichen auf MobilitätsApps, die sämtliche Angebote innerhalb einer Stadt vernetzen. Während vor allem für junge Leute im ländlichen der Führerschein und als Fernziel ein eigenes Auto zum Erwachsenwerden einfach dazugehören, herrscht Skepsis gegenüber selbstfahrenden Autos.
Die Studie „Wie ticken Jugendliche 2016?“ beschreibt auf Basis von 72 qualitativen Tiefeninterviews Wertvorstellungen von 14- bis 17-Jährigen in Deutschland sowie ihre Einstellungen zu Themen wie digitale Medien und digitales Lernen, Mobilität, Nachhaltigkeit, Liebe und Partnerschaft, Glaube und Religion, Geschichtsbilder, Nation und nationale Identität sowie Flucht und Asyl. In zahlreichen Zitaten und kreativen Selbstzeugnissen kommen die Jugendlichen dabei ungefiltert zu Wort. Die Untersuchung, die heute in Berlin vorgestellt wurde, liefert mit der detaillierten Nachzeichnung der Lebenssituation Einzelner ein insgesamt typisches Bild für die unterschiedlichen Lebenswelten von Jugendlichen heute. Erstmals wurde bei der Erhebung die Methode des Participatory Youth Research eingesetzt, bei der Jugendliche als Interviewende selbst ihre Fragen einbringen konnten.
Wie in beiden Vorgängerstudien 2008 und 2012 zeigt sich auch 2016, dass es die Jugend nicht gibt. Die qualitative Untersuchung des SINUS-Instituts bildet die Vielfalt der Perspektiven jugendlicher Lebenswelten ab, wobei sich an der inneren Verfasstheit der Gruppen wenig geändert hat und das im Jahr 2012 entwickelte Modell mit den sieben jugendlichen Lebenswelten bestätigt werden konnte. Auftraggeber sind die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj), der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und die VDV-Akademie (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen - Akademie).
Die Studie ist bei Springer VS erschienen und erstmals als Open-Access-Veröffentlichung frei verfügbar): http://www.springer.com/de/book/9783658125325
Mehr unter www.wie-ticken-jugendliche.de